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Die Orgel in der Flikirche

Die Orgel in der St. Martinskirche im Fli wurde 1883 von Johann Nepomuk Kuhn als relativ kleines Werk erbaut. 1926 wurde das Instrument von der Firma Th. Kuhn AG in Männedorf unter der Leitung von Heinrich Schäfer umgebaut und vergrössert. Dabei wurde, wahrscheinlich aus Platzgründen, als für die Region einmalige Besonderheit das Schwellwerk als Fernwerk in den Kirchenestrich gestellt. War die Spiel- und Registertraktur 1883 noch rein mechanisch, ist sie seit 1926 rein pneumatisch. Sogar die Steuerung des vom Spieltisch doch weit entfernten Fernwerks funktioniert auf pneumatischem Weg und ist dabei ausserordentlich präzise! 

Der am 17. Mai 1827 im württembergischen Waldsee geborene Johann Nepomuk Kuhn war zusammen mit Friedrich Goll (Luzern) der führende Orgelbauer der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er trat am 19. August 1851 in den Dienst des Stuttgarter Orgelbauers Carl Gotthold Weigle, arbeitete später bei der berühmten Firma E.F. Walcker & Cie. In Ludwigsburg und war 1863 als Orgelbauer dieses Betriebes zusammen mit Heinrich Spaich zur Montage der neuen Orgel in der reformierten Kirche Männedorf am Zürichsee gekommen. 1864 liessen sich die beiden Herren daselbst nieder und gründeten ihre eigene Firma. 1872 trennten sie sich aber im Streit und Heinrich Spaich betrieb im nahen Rapperswil ein eigenes Orgelbaugeschäft. 

Johann Nepomuk Kuhn erlangte mit seinen äusserst qualitätsvollen und kunstvoll intonierten Orgeln schnell einen grossen Ruhm. 1872 erstellte er die Zürcher Tonhallenorgel, 1875 baute er die St. Galler Domorgel um und 1876 vollendete er die erste nachreformatorische Orgel im Zürcher Grossmünster. 1883 erhielt er vom Preisgericht der Landesausstellung in Zürich ein Diplom für "vollendete Arbeit, tadellose Intonation, Mannigfaltigkeit der Klangfarben". Als Johann Nepomuk Kuhn am 21. Dezember 1888 an einem krebsartigen Leiden starb, übernahm sein am 16. Juni 1865 geborener Sohn Carl Theodor die Firma und führte die Angestellten mit Wohlwollen und Güte, so dass er von ihnen nicht mit Namen sondern schlicht mit "Vater" angeredet wurde. Am 23. Oktober 1925 starb er kinderlos an einem heimtückischen Nierenleiden und Heinrich Schäfer übernahm die Werkleitung. 

Die Firma Th. Kuhn AG ist heute nicht nur die älteste noch bestehende Orgelwerkstatt der Schweiz sondern auch die grösste unseres Landes und eine der bedeutendsten weltweit. 

Die in den Dreissigerjahren eingesetzte Zeit der Orgelbewegung brachte eine Rückbesinnung auf die Werte der barocken Orgel mit sich. Leider artete diese Rückbesinnung allzu oft in einen fanatischen und rücksichtslosen Vernichtungseifer aus, dem besonders in der Deutschschweiz fast alle Orgeln der romantischen Epoche zum Opfer fielen, so auch die meisten romantischen Orgeln der Firma Kuhn. Seit etwa zwanzig Jahren erkennt und anerkennt man in der Orgelwelt die Bedeutung der romantischen Orgelliteratur und damit deren Instrumente. Romantische Orgeln werden heute genauso liebevoll restauriert wie ältere. Leider aber sind noch immer vereinzelt Experten der zerstörerischen Gesinnung der Orgelbewegung am Werk und haben sogar noch in den letzten Jahren mit haltlosen Argumenten wunderbare romantische Orgeln zum V erschwinden gebracht! 

Dass die Weesner Orgel diese Stürme nahezu unbeschadet überdauert hat (von leichten Eingriffen in die Disposition abgesehen), muss als absoluter Glücksfall bezeichnet werden. Fernwerke standen einst in vielen Kirchen, sind heute aber fast alle verschwunden. Welche Wirkung ein solches Fernwerk haben kann, hört man sehr deutlich in Weesen. Der Klang des Schwellwerks reicht hier dank der Stärke der Decke vom "pppp" bis zum gewaltigen Fortissimo und erlaubt in edelster Weise die in der romantischen Musik erforderlichen dynamischen und stufenlosen Steigerungen. 

Die Orgel in der St. Martinskirche ist als wertvolles Orgeldenkmal von mindestens kantonaler Bedeutung zu klassifizieren! Die Disposition der Orgel lautet: 

I. Manual, Hauptwerk (C-g‘‘‘) II. Manual, Schwellwerk(C-g‘‘‘‘) Pedal (C-f)
Bourdon 16‘ Geigenprincipal 8‘ Subbass 16‘
Principal 8‘ Orchesterflöte 8‘ Gedecktbass 16‘ (Tr.16‘ I. Manual)
Flöte 8‘ Salicional 8‘ Octavbass 8‘
Gamba 8‘ Voix céleste 8‘ Choralbass 4‘
Octave 4‘ Suavial 4‘  
Nachthorn 4‘ Rohrflöte 4‘  
Mixtur 2‘ Quinte 2 2/3‘(Auszug)  
  Flautino 2‘(Auszug)  
  Terzflöte 1 3/5‘ (Auszug)  
  Cornettino 2 2/3‘ 3fach  
  Trompete 8‘  
  Tremolo  
     
Koppeln Spielhilfen  
     
Oberoctav II. Man. Registercrescendo (mit 12-stufiger Anzeige in Uhrform)  
Oberoctav II-I 4 Kollektivtritte I, II, III, IV (wechselwirkend als Tritte 
und als Druckknöpfe)
 
Manual-Koppel II-I Autom. Pedalumsch. ab (als Druckknopf)  
Unteroctav II-I Trompete 8‘ ab (als Zug links im Spieltisch)  
Oberoctav II-Ped. Calcantenruf (als Zug rechts im Spieltisch)  
Pedalkoppel II. Man.    
Pedalkoppel I. Man.    


Spieltraktur I. Manual und Pedal: Pneumatische Kegelladen (ursprünglich mechanisch)
Spieltraktur II. Manual: Pneumatische Taschenladen
Registertraktur: Pneumatisch 

Verfasser: Bernhard Hörler, seit 1994 Organist an der St. Agathakirche Dietikon
Februar 2005

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